Über vier Jahrhunderte nicht forstlich genutzt, überlässt man den Vilmer Urwald ganz der natürlichen Walddynamik | Foto: rügen aktuell

Unberührte Natur entdecken

Schirmeiche in der Goor und Urwald auf dem Vilm zählen zu Südrügens Höhepunkten

Auch im Süden der Insel Rügen gibt es Orte, an welchen sich die Natur noch immer fast unberührt von Menschenhand entfalten kann. Natürlich gewachsene Umgebungen dieser Art sind heutzutage rar und daher immer einen Wanderausflug wert.

Der „Pfad der Muße und Erkenntnis“ beispielsweise führt als Rundweg mit 19 Stationen durch das Schutzgebiet Goor bei Putbus-Lauterbach. Jede Station ist durch einen abgelegten Findling an einem besonderen Ort markiert, auf welchen ihre jeweilige Zahl graviert ist. Auf insgesamt 4,2 Kilometern sind dort die verschiedenen Stimmungen des Küstenwaldes sowie viel Wissenswertes über seine Pflanzen- und Tierwelt zu erfahren.
An Station 12 steht hier eine wirkliche Baumpersönlichkeit: die uralte Schirmeiche. Botanisch betrachtet ist sie eigentlich eine Stieleiche, ihre mächtige imposante Krone verhalf ihr im Volksmund jedoch zu anderem Namen. Dieses Naturdenkmal ist fast 600 Jahre alt und besitzt einen Stammumfang von sechs Metern. Leider brach bereits ein starker Ast ab, jedoch ist der Baum weiterhin vital. Um mehr lebensnotwendiges Licht zu erhalten und ihm Raum bzw. Schutz vor dem Abbruch zu geben, wurden die die Eiche umgebenden Lärchen etwas zurückgenommen.
Betrachtet man diese majestätische Eiche, so kann man sich bildhaft vorstellen, wie ein solch alter Baum unsere slawischen Ahnen beeindruckte, sie dem Rauschen seiner Blätter zuhörten, mit ihm kommunizierten und ihm die magischen Kräfte einer heiligen Stätte zusprachen.
Die angemeldete Überfahrt ab Hafen Putbus-Lauterbach bis zur Insel Vilm dauert mit dem kleinen Motorschiff nur 10 bis 15 Minuten. Das ehemals abgeschottete Urlaubsdomizil des DDR-Ministerrats, heute Kernzone des Biosphärenreservats Südost-Rügen, darf nur mit öffentlicher Führung auf dem Großen Vilm betreten werden – denn der größte Teil der Insel ist von (Ur-)Wald bedeckt und der Kleine Vilm dem Vogelschutz vorbehalten. Die namengebende Ulme (slawisch: „ilumu“) ist krankheitsbedingt nur noch vereinzelt in der unteren Randschicht anzutreffen. Die Buchenwälder auf dem Großen Vilm hingegen sind circa 250 bis 300 Jahre alt, erfährt man vom fachkundigen Führer, und zählen zu den ältesten und wertvollsten Norddeutschlands.
Nachdem man die Siedlung – heute Internationale Naturschutzakademie (INA) und Teil einer Außenstelles des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) – durchquert hat, betritt man den nordöstlichen Küstenmischwald. Hier auf dem Rundweg wird schnell klar, warum man unbedingt festes, bequemes Schuhwerk tragen sollte, denn teilweise geht es auf komplett unbefestigtem „Trampelpfad“ unmittelbar am steilen, etwa 30 Meter hohen Kliffabhang vorbei. Immer wieder steigt man über riesige Wurzeln aus Totholz, zwängt sich vorbei an quer liegenden Bäumen durch die Krautschicht am Waldboden. Zum Ausgleich belohnen schönste Ausblicke über die Große Vilmbucht und der Anblick eindrucksvoller Baumriesen.
Das nordöstlich gelegene Kochufer hinter sich lassend, gelangt man im Norden zwischen einer Schleh- und Weißdornhecke mit knorrigen Baumveteranen und dem Schilfrohrgürtel an den Großen Haken. Hier wandert man fast am ebenerdigen Strand entlang, immer die wunderschöne Boddenlandschaft rund um Groß Stresow auf Rügen im Blick. Weiter geht es durch Hohlwege, neben denen sich Waldgeißelblatt-Lianen bis ins meterhohe Geäst schlingen. Mannshoher Adlerfarn bedeckt das Waldbodendickicht. Hier wachsen die ältesten Bäume der Insel mit imposanten Stammdurchmessern und mächtigen Ästen. Durch nun hohen, weitläufigen Buchenwald ohne Bodenbewuchs gelangt man daraufhin zum Grünen Berg, von dessen Kliffkante man hinüberblickt auf das Waldgebiet Goor, Lauterbach und Putbus. Über das Karkenufer schließlich wird wieder die Landungsbrücke erreicht.

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