Der Hochzeitsschatz
1. Oktober 2018Wie die Rügener Kreidemännchen einfachen Leuten das Glück brachten
Auf der Insel Rügen lebte der Sohn eines Fischers. Dieser liebte die schöne Tochter des armen Schäfers und auch sie hatte nur Augen für ihn. Ihr sehnlichster Wunsch war es, miteinander vermählt zu werden.
Der Vater des Fischers sah seinen einzigen Sohn jedoch lieber mit des Müllers rundlicher Tochter verehelicht, so wären sie doch alle Tage mit Brot und Mehl versorgt. Auch die Eltern der schönen Schäferin hofften, ihre Tochter mache um ihrer Anmut Willen eine gute Partie. Alle mochten das Mädchen gern, auch der Sohn der Wirtsleute hatte sich schon lange in sie vergafft.
Doch die schöne Schäferin und der Fischer hatten nur Augen füreinander. Sie liebten sich aufrichtig und baten ihre Familien immer inständiger um ihren Segen. Schließlich willigten die Eltern ein, betrübt darüber, dass die Armut ständiger Gast bei ihren Kindern wäre. Für die Braut wurde das Hochzeitskleid der Mutter hergerichtet. Der Sohn des Fischers bekam den alten Gehrock seines Vaters, den er seit seiner eigenen Hochzeit nur zu besonderen Anlässen trug. Um die Trauung beim Pfarrer zu begleichen, bekam dieser den größten Fisch vom letzten Fang und die Wolle des besten Schafes. Die Eltern bereiteten ein einfaches Mal und feierten den Tag mit dem glücklichen Brautpaar voller Freude und Liebe.
Um Mitternacht beendete das Brautpaar seinen schönsten Tag mit einem Spaziergang am Meer. Eng umschlungen, schlenderten sie am Fuße des Kreidefelsens entlang. Das Rauschen des Meeres, der weiche, warme Sand des Strandes, die Sterne am Himmel machten ihr Glück vollkommen.
Plötzlich vernahmen sie ein leises, liebliches Läuten. Vor ihnen stand ein kleines, weißes Männchen mit einer lustigen Zipfelmütze auf dem Kopf. An der Spitze der Mütze hüpfte ein goldenes Glöckchen. Das Männchen überreichte dem jungen Paar einen prächtigen Bernstein mit den Worten: „Dieser Schatz bringt euch Glück, Segen, Gesundheit und Wohlstand, solange ihr euch ehrlich und aufrichtig liebt und einander achtet.“
Die Begegnung mit dem Kreidemännchen rührte das junge Paar. Voller Dankbarkeit versprachen sie, seiner Worte immer zu gedenken. Die jungen Eheleute erfreuten sich bester Gesundheit und bekamen prächtige Kinder, die sie zu anständigen Menschen erzogen. Ihr Tisch war stets ausreichend gedeckt, Hab und Gut teilten sie mit ihren Eltern. Auch diese erfreuten sich bis ins hohe Alter an dem Glück ihrer Kinder und Enkelkinder.
Sie erzählten jedem auf der Insel von der Begegnung mit dem Kreidemännchen und seinen wundervollen Gaben. Die Leute fanden die Geschichte bezaubernd und glaubten an die Kraft des Bernsteins. Und so wurde es zur Tradition auf der Insel Rügen, einem Brautpaar zur Vermählung einen Bernstein zu schenken.