Das älteste Haus Stralsunds
1. Februar 2019Ossenreyerstraße 14 steht seit circa 760 Jahren im Zentrum der Hansestadt
Welches Haus in Stralsund ist eigentlich das älteste? Viele Touristen und auch Stralsunder würden es wahrscheinlich am Alten Markt verorten, eventuell das Wulflamhaus oder ein anderes prächtig ausgestattetes mittelalterliches Giebelhaus vermuten. Doch dem ist nicht so. Das Gebäude mit den meisten Jahren „auf dem Buckel“ wirkt eher unscheinbar, obwohl es ebenfalls einen stolzen straßenseitigen, wenn auch nicht so ganz filigranen, da heutzutage hell verputzten, Schaugiebel aufweisen kann.
Befinden tut es sich an der Ossenreyerstraße, genauer gesagt ist es die heutige Nummer 14 mitten in der autofreien Stralsunder Einkaufszone. Dieses dreiachsige, zweigeschossige und in seinem Kern mittelalterliche Giebelhaus im Weltkulturerbe-Kerngebiet der historischen Stralsunder Altstadt gilt als Stralsunds ältestes profanes Steingebäude. Sein aus Backstein gemauerter Keller wurde auf das Jahr 1285 datiert.
Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr es mehrere Umgestaltungen, konnte seinen historischen Charme dabei jedoch glücklicherweise bewahren. Beispielsweise überformte der Barock des 17./18. Jahrhunderts die eher eckige obere Giebelfassade der Gotik mit geschweiften Rundungen und grazil ausgearbeiteten, gesprengten Halbbögen am Fassadenspitzenaufsatz neu. Allerdings blieb seine ursprüngliche Giebelgestaltung mit den spitzbögigen Luken und Blenden dabei erhalten.
Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgte in den Jahren 1968/69 eine Teilsanierung des barockveränderten gotischen Giebels. Der mittelalterliche dreigeschossige Pfeilergiebel wurde freigelegt und man beließ im unteren Bereich der Fassade auf Höhe des ersten Geschosses zwei „Sichtfenster“, an welchen die Reste der gotischen Fassadengliederung erkennbar sind. Das größere von beiden wird ergänzt von einer 1608 gefertigten Sandsteinplatte, welche die historische Hausmarke aufweist, die vom ehemaligen Kemladen des Hauses stammt. Die Kemlade war ein schmaler, meist zweigeschossiger Seitenflügel des mittelalterlichen Kaufmanns- oder Handwerkerhauses, in dem sich die Wohn- und Schlafräume befanden; die Wirtschafts- und Geschäftsräume lagen im jeweils größeren Hauptgebäude.
Im Inneren des Haupthauses ist auch hier die typische hohe Diele, nach welcher man die „Dielenhäuser“ heute bezeichnet, weitgehend erhalten. Bei den umfassenden Sanierungen nach der politischen Wende in den Jahren 1992-94 konnten zudem sogar originale Reste der mittelalterlichen Farbfassung sowie der plastischen Dekoration an der Fassade entdeckt werden. Die Ossenreyerstraße 14 ist mit der Nummer 624 in die Liste der Baudenkmale Stralsunds eingetragen.
Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts zog die ehemalige slawische Fischersiedlung Stralow, der Rügenfürst Wizlaw I. zu Charenza 1234 das Lübische Stadtrecht verliehen hatte, Einwanderer aus nah und fern an. Der Seehandel fluorierte und ausgehend vom damaligem Stadtzentrum Alter Markt errichteten Stralsunds selbstbewusste Bürger beeindruckende Bauten. Im Jahr 1271 wurden große Teile der überwiegend aus Holz gebauten Stadt jedoch durch ein Feuer zerstört. Danach erneuerte man Stralsund mit einem erheblich höheren Anteil an Backsteinbauten, für die man 1283 drei Ziegeleien benötigte. In diese Zeit fällt vermutlich auch der Bau der Ossenreyerstraße 14. Hauseigentümer dürfte ein Kaufmann oder Handwerker gewesen sein, dessen rege Handelstätigkeit eine repräsentative, großräumige Arbeits-, Wohn- und vor allem Lagergrundlage erforderte.