Der wilde Blüsner

Aus dem Sagenkreis der Halbinsel Mönchgut

Vor langer Zeit betrieb der Bauer Krischan Kolde mit seiner Frau Lisbeth auf der Insel Rügen in Klein Zicker einen Bauernhof. Mit der Zeit wurde er der täglichen Arbeit überdrüssig und ging immer mehr seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Aalblüsen (Aalstechen), nach.
Abends machte er sein Boot zurecht und legte die Blüspfanne, eine lange Stange, an deren Ende ein Rost befestigt war, harziges Holz und einen Aalspeer mit mehreren Zinken bereit. Draußen, auf der dunklen See, wurde dann auf dem Rost das Holz gezündet und die Stange hinausgeschoben. Das Fackellicht vorn am Boot lockte die Aale dann durch seinen hellen Schein an. Wenn die Aale durch die beleuchtete Wasserfläche zu erkennen waren, musste mit dem Aalspeer schnell zugestoßen werden. Krischan freute sich über gute Fänge, das Fischen machte Spaß. Erst bei Sonnenaufgang kehrte er zurück und schlief dann lange.
Dieses Treiben wiederholte sich Nacht für Nacht, monatelang. Der Hof wurde von ihm vernachlässigt, die Arbeit blieb seiner Frau überlassen und allein war sie nicht zu bewältigen. Immer wieder bat und flehte Lisbeth, er möge doch wieder mehr für den Hof tun, sonst würden sie doch alles verlieren. Fischen könne er trotz allem hin und wieder. Krischan hatte jedoch kein Ohr für seine Frau und die Notwendigkeiten. Er winkte nur ab und fuhr des Nachts hinaus.
Es war Erntezeit und das Wetter war trocken. Überall wurde das Getreide eingefahren. Lisbeth bat ihren Mann immer wieder um Hilfe – vergebens. Die Nachbarn hatten ihr Korn mittlerweile geerntet und Lisbeth hatte noch den größten Teil auf dem Feld. Regen setzte ein. Ihren Mann interessierte es nicht. Das Getreide verdarb auf dem Halm. Ein Nachbar hatte Mitleid und half ihr noch zu retten, was zu retten war.
Mittlerweile aufgestanden, stand Krischan vergnügt am Hofeingang, als die Bäuerin mit dem traurigen Rest vom Feld kam. „Die vergangene Nacht war fürs Blüsen gut! Es hat sich auch mal wieder gelohnt.“ sagte er zu Lisbeth. Lisbeth wurde wütend und rief: „Du verachtest die notwendige Arbeit anderer und hast nur deinen Spaß im Sinn. Das Vieh geht uns ein, weil nicht genug Futter da ist. Und was du fängst, reicht lange nicht zum Leben. So blüs doch auf dem Wasser bis in alle Ewigkeit!“ Kaum ausgesprochen, bereute sie den Fluch. Doch es war nun leider gesagt. Ihr Mann ging blüsen und kehrte nicht mehr zurück.
Manchmal erscheint einem nachts in der Ferne das Boot des „wilden Blüsners“, das mit dem Fackelschein rastlos auf der See treibt, sich zunächst immer näher zum Ufer bewegt und dann wieder hinaus. „Er blüst schon wieder“, sagen sich die Fischer, wenn sie von ihren Booten sein Licht sichten, und weichen aus.

(Aus: Albert Burkhardt, Sagen und Märchen der Insel Rügen. 2. Auflage, Altberliner Verlag, 1999)

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