Helmut Senf

Ein Leben für die Kunst

 

Ich treffe Helmut Senf in Sassnitz. Nach einem kurzen Rundgang durch seinen Garten, in dem verschiedene Metallplastiken von ihm ausgestellt sind, besuchen wir seinen Showroom – eine kleine Hütte voller Bilder und Modelle. Als gelernter Emailleur und Gürtler verfolgt Helmut Senf in seiner Kunst eine pragmatische Haltung. Dazu gehört der Einsatz schnell trocknender Acrylfarben und die Wahl handlicher Formate, die ihm die Arbeit erleichtern. Was Laien als abstrakte Kunst ansehen, ist tatsächlich „Konkrete Kunst“ – eine Stilrichtung, die sich auf Farben, Formen und Linien konzentriert und keine Geschichten erzählt, die über das Bild hinausreichen.

Im vergangenen Jahr haben Sie ihren 90. Geburtstag gefeiert. Es gab mehrere Ausstellungen. Welche hat Ihnen am meisten bedeutet?
Ich muss sagen, das war wirklich eine besondere Ausstellung im Foyer des Grassi-Museums in Leipzig. Mit seiner Sammlung schlägt das Museum eine einzigartige Brücke zwischen bildender und angewandter Kunst – genau das, was mir selbst immer wichtig war: Kunst und Handwerk zusammenzubringen. Schon in den 1960er Jahren hatte ich dort ausgestellt. Damals habe ich vor allem Schmuck und Gerät gefertigt sowie kleine, nicht-gegenständliche Bildplatten in Schmuckemail gestaltet. Einige meiner Werke befinden sich auch in der Museumssammlung. Die Ausstellung im letzten Jahr bot einen Querschnitt meines Schaffens, doch das Schönste für mich war, alte Freunde und Kollegen wiederzutreffen.

Da waren ja nicht nur Kuratoren, Galeristen und Kollegen der ostdeutschen Metall–und Schmuckszene anwesend, sondern auch „Westbesuch“, oder? 
Besonders gefreut hat mich, dass Jürgen Jesse extra aus Bielefeld gekommen ist. Schon am 6. Dezember 1990 hatte er mir eine Nachricht geschickt und mir anschließend geholfen, im Westen bekannter zu werden. Das war ein großes Glück für mich, denn viele Künstler aus der DDR hatten es nach 1990 schwer, überhaupt auszustellen, geschweige denn etwas zu verkaufen. Noch 2021 hat Jesse mich dabei unterstützt, eine große Stahlplastik dauerhaft im öffent­lichen Raum in Bielefeld zu installieren – das war natürlich fantastisch.

Sie haben ja nicht immer in Sassnitz gelebt, sind 1933 in Thüringen geboren und haben von 1957 bis 1961 an der Dombauhütte in Erfurt gearbeitet. Wie waren denn damals die Bedingungen für freie Kunst?
Es gab auf jeden Fall eine lebendige Kulturszene in der Stadt. Zusammen mit anderen haben wir die Erfurter Ateliergemeinschaft gegründet, um uns über Kunst auszutauschen und Kollegen zu fördern, die sonst nur wenige Ausstellungsmöglichkeiten hatten. Von 1964 bis 1974 haben wir 45 Ausstellungen organisiert, darunter solche mit Gerhard Altenbourg, Hermann Glöckner, Dieter Tucholke und vor allem Achim Freyer, der nach seiner Ausreise in den Westen 1971 als Bühnenbildner weltberühmt wurde. Da hat uns auch eigentlich keiner reingeredet – das war künstlerisch wirklich eine spannende Zeit.

Später hatten Sie Lehraufträge an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung Halle hattest, was heute als „Burg Giebichenstein“ bekannt ist. Auch an der Hochschule Wismar haben Sie jahrelang als Dozent Ihr Wissen weitergegeben. 
Ich habe immer gerne mit anderen zusammengearbeitet. Besonders bahnbrechend für die konstruktivistische Kunst und Stahlplastik in der DDR waren die Symposien für Stahlgestaltung in Staßfurt, die ich ab 1977 gemeinsam mit Irmtraud Ohme alle zwei Jahre organisiert habe. Der VEB Chemieanlagenbau bot uns dort viel Platz und technische Möglichkeiten – so konnten wir Werke schaffen, die weit über den konstruktivistischen Schmuck hinausgingen. Später trafen wir uns regelmäßig in den künstlerischen Werkstätten Erfurts zu einem Schmucksymposium, bei dem auch Werke in Industrieemail entstanden, also in der Technik, die sonst für Schilder verwendet wird. Nach unserem Umzug nach Rügen 1994 wollte ich etwas Ähnliches aufbauen. Gemeinsam mit dem Metallplastiker Bernard Misgajski und einigen anderen bauten wir einen eigenen Emailofen und führten über viele Jahre Symposien an seinem Kunstort Alte Wassermühle in Wreechen durch. Außerdem unterrichtete ich in Wismar Schmuckdesigner im Emaillieren, was mir immer große Freude gemacht hat. Sie sind jetzt 91 Jahre alt und sagen, dass Ihre Kräfte schwinden. Doch aktuell haben Sie wieder viele neue Bilder gemalt und eine Ausstellung in Berlin ist auch in Planung.  Ja, das stimmt. Die politische Situation ist so düster, da wollte ich gerne ein paar farbenfrohe Bilder malen. Das ist ungewöhnlich, aber ich hatte Freude daran, mal Hellgrün und Lachsfarbe einzusetzen. Wenn ich malen will, hole ich mir die Leinwände und Farben aus meiner Werkstatt im Keller nach oben. Doch die meiste Arbeit steckt immer im Entwurf. Da sitze ich manchmal bis zu 14 Tage mit bunten Papieren am Schreibtisch, um eine Komposition zu finden, die mich interessiert. Das Malen selbst ist eigentlich nur die Umsetzung. Manchmal mache ich später auch noch ein Emailbild aus dem Entwurf oder einen Siebdruck.

Zum Abschluss des Gesprächs – was für Wünsche haben Sie noch?
Ich würde sehr gerne noch einmal in Erfurt ausstellen. Dort gab es das Forum für Konkrete Kunst, das für mich sehr wichtig war und internationale Tagungen durchgeführt hat. Ich habe dort auch viele künstlerische Erfahrungen gesammelt. Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass die Stadt Sassnitz endlich meine Stahlplastik „Fenster“ aufstellt, die sie in Auftrag gegeben hat. Sie ist schon lange fertig und wartet nur noch auf einen passenden Sockel und eine Entscheidung über den Aufstellungsort. Man muss sich mal vorstellen: Dieses Vorhaben geht auf eine Initiative aus dem Jahr 2009 zurück.

Für das Interview bedankt sich Susanne Burmester

 

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